Rezension: Fritz Jergitsch – Die Geister, die ich teilte. Wie soziale Medien unsere Freiheit bedrohen

Fritz Jergitsch ist der Gründer und Betreiber von „die Tagespresse“, eine österreichische Website, die seit 2013 satirische Beiträge im Stil von Zeitungsartikeln aufbereitet. Der Fokus liegt auf österreichischen Themen, wobei die Artikel frei erfunden sind. Er sieht Humor als Bewältigungsstrategie, um die Realität einzuordnen und Ängste abzubauen. Jergitsch geht es darum, durch das Stilmittel der satirischen Falschmeldung einen Missstand pointiert darzustellen und so sichtbarer zu machen. In seinem soeben erschienenen Buch geht es um die Macht Sozialer Medien und die Notwendigkeit einer Regulierung eben dieser.

Das Internet hat die Art und Weise revolutioniert, wie wir Informationen austauschen. Kommunikation funktioniert heute billiger, unkomplizierter und vor allem schneller als jemals in der

Geschichte der Menschheit. Der Autor führt aus, dass trockene Fakten in den Sozialen Medien meist untergehen, Klicks werden durch emotionale Betroffenheit erzielt.

Fakenews erreichen nur einen verhältnismäßig kleinen Teil der Bevölkerung. Ihr Effekt auf die Bevölkerung ist jedoch massiv, weil diese häufiger geliked und geteilt werden, dadurch verbreiten sie sich auch schneller als wahre Nachrichten. Wir neigen dazu zu teilen, was unser Weltbild bestätigt, unabhängig davon, ob es wahr ist. Ein bestimmender Faktor dabei sind Algorithmen, Jergitsch beschreibt deren Wirkungsweise. Sie sind für ihn ein mächtiges Werkzeug, das Massen manipulieren und gegeneinander aufhetzen kann. Ein Algorithmus lernt durch Beobachtung unseres Verhaltens, was genau uns jetzt und zukünftig interessieren könnte und kann bei der Auswahl seiner Inhalte aus einer unermesslichen Bibliothek an Inhalten wählen, die dem sozialen Netzwerk von seinen eigenen User:innen gratis zur Verfügung gestellt wird. Algorithmen erkennen keine Wahrheit oder Lüge. Dadurch, dass sie uns am liebsten mit genehmen Informationen füttern, zementieren sie unser Weltbild bis zur Unbeweglichkeit ein. Geblendet durch die polierten Newsfeeds akzeptieren wir immer weniger Widerspruch, wir finden uns in einer Filterblase wieder. Jergitsch führt aus, dass Algorithmen so programmiert sind, dass sie auf Polarisierung optimieren, das heißt, dass zugespitzte Infos öfter im eigenen Newsfeed erscheinen und bevorzugt geliked werden. Was für den Algorithmus zählt, ist schlicht die Interaktionsrate.

Für Jergitsch sind Soziale Medien so etwas wie Boulevardmedien und er geht soweit, dass er dabei einen Vergleich mit der Propaganda der Nazis herstellt. Diese Plattformen bieten laut ihm dieselben Möglichkeiten, die die Nationalsozialisten in den Massenmedien ihrer Zeit vorfanden: Lügen verbreiten, Angst schüren und durch Polarisierung spalten.

Der Autor beschreibt ausführlich, wie Soziale Medien für bewusste Desinformation missbraucht werden. Rechtspopulist:innen waren ihm zufolge Pioniere bei der Nutzung dieser Plattformen. Viele Regierungen und Autokrat:innen hätten sich diese Mobilisierung der Massen zu Propagandazwecken abgeschaut, sie gelten aus militärischer Sicht als neue Waffen.

Als Beispiel führt Jergitsch den Genozid 2016 in Myanmar an, bei dem Facebook eine bedeutende Rolle in der Propaganda spielte. Das Ganze war eine orchestrierte Hasskampagne des Militärs gegen das eigene Volk via soziale Medien. Infolgedessen wurden zehntausende Rohingya getötet und zahlreiche Menschen misshandelt wurden. Der Autor beschuldigt Facebook an der Beihilfe zum Genozid, weil es notwendige Bemühungen unterließ Hassaufrufe zu stoppen, erst viel zu spät zog Facebook die Notbremse und löschte verdächtige Accounts.

Jergitsch berichtet weiter über die Hintergründe dieser mangelnden Regulierung, die auf sämtlichen Plattformen zu großen Problemen führte. Facebook hätte noch vor wenigen Jahren die Meinung vertreten, dass freie Meinungsäußerung wichtiger sei, als Zensur bei den Postings zu betreiben. Telegram gilt als Plattform mit besonders liberalen Ansichten bezüglich Meinungsfreiheit, auf der von einem Russen gegründeten Plattform darf alles gesagt werden. 2015 wurde bekannt, dass der IS gerne Telegram zur Propaganda und zur Koordination verwendete, so wurde zum Beispiel der Anschlag in Paris auf das Bataclan 2015 durch den IS auf Telegram organisiert und koordiniert. Der Telegram Gründer argumentierte damit, dass ihm das Recht auf Privatsphäre wichtiger sei als die Angst davor, dass schlimme Dinge wie Terrorismus passieren.

Erst 2020 begann ein Umdenken und Plattformen wie Twitter, Youtube und Facebook begannen mit der Löschung von Fakenews. Zumindest diese Plattformen hätten es laut Jergitsch geschafft, eine Grenze zu ziehen, man bekennt sich dort immerhin offiziell gegen Gewaltaufrufe. Laut dem Autor sei Telegram bis heute die einzige Plattform, bei der nahezu keine Zensur betrieben wird und fast alles erlaubt ist. Terrororganisationen und Rechtsextreme koordinieren ihre Aktionen und verbreiten Desinformation weiterhin bevorzugt über Telegram. Das Fazit des Autors: „Kriminelle werden immer Wege finden, aber man muss es ihnen nicht auch noch einfacher machen.“

Es ist nicht die Absicht des Autors Soziale Medien zu verteufeln, er zeigt auch positive Beispiele auf. So wurde in einigen Fällen ein neuer Raum für demokratische Bewegungen geschaffen. Beim „Arabischen Frühling“ waren Soziale Medien maßgeblich an der Umsetzung beteiligt, die Zivilgesellschaft nutzte sie, um sich ihrer autokratischen Anführer zu entledigen.

In seinem Buch plädiert Jergitsch dafür Informationen kritisch zu hinterfragen und Quellen auf Seriosität zu überprüfen. Er regt an, die selbstgeschaffene digitale Blase regelmäßig zu verlassen und sich nicht auf die Algorithmen zu verlassen.