Rezension: Judith Goetz, Joseph Maria Sedlacek, Alexander Winkler (Hg.) – Untergangster des Abendlandes. Ideologie und Rezeption der rechtsextremen „Identitären“.

Das 2018 erschienene Buch ist ein Sammelband von 14 österreichischen Expertinnen und Experten über die „Identitäre Bewegung Österreichs“. Diese seit 2012 in Österreich aktive Gruppierung wird seit 2016 vom österreichischen Verfassungsschutz als rechtsextrem geführt. Nachdem sich diese Szene nach der Zerschlagung der neonazistischen „alpen-donau-info“- Internetplattform neuformieren musste, haben die Identitären diese Lücke gefüllt.

Der Sammelband belegt und verdeutlicht den rechtsextremen Charakter der Identitären und deren tiefe Verankerung in rechtsextreme Traditionen. Ein großer Teil der Identitären rekrutiert sich laut den AutorInnen personell aus der österreichischen Neonaziszene und aus deutsch-völkischen Studentenverbindungen. Nach den Schlussfolgerungen ist ihre Ideologie antidemokratisch ausgerichtet und propagiert das Konzept der menschlichen Ungleichheit. Die Bewegung sieht sich als politische Elite und ist autoritär-hierarchisch aufgebaut. Ihre Ziele richten sich gegen eine liberale und multikulturelle Gesellschaft. Es wird von den AutorInnen die Meinung vertreten, dass ein ausgeprägter Antifeminismus einen zentralen Bestandteil ausmacht.

Die Politikwissenschafterin Judith Goetz, deren drei Artikel in dem Buch hervorzuheben sind, kritisiert, dass viele Medien und auch Fachleute den harmlos wirkenden Begriff „Neue Rechte“ übernommen und damit den Aufstieg der Bewegung begünstigt hätten. Diese Benennung würde implizieren, dass sich die Identitären von den alten Rechten und somit vom Nationalsozialismus distanzieren und dass sie weniger radikal und extrem sind. Das alles ist laut Goetz nicht der Fall. Den eigentlichen Erfolg hätten ihnen viele Medien ermöglicht, die unreflektiert und bildreich über deren strategische Aktionen berichtet und ihnen so zu dem Bekanntheitsgrad verholfen hätten, der ihnen heute zukommt. Sie hält es für einen Mythos, dass Rechtsextreme sich selbst entlarven würden, wenn man sie nur sprechen lässt. Identitäre würden geschickt jede Bühne nutzen, die ihnen geboten wird, um antidemokratische Ideologien zu propagieren und zu verharmlosen. Die Autorin plädiert daher für einen stärkeren journalistischen Berufsethos, der Ausgrenzung und diskriminierendes Verhalten nicht zulässt.

Die vorliegenden Beiträge beschreiben die geschickten Kommunikations- und Medienstrategien der Identitären. Es würde nur wenige Aktivisten, aber spektakuläre Aktionen und medienwirksame Bilder brauchen, ganz nach dem Motto: „Empörung ist die beste Werbung“.

Entgegen ihrer Selbstdarstellung handelt es sich bei den Identitären laut den AutorInnen um eine gewaltbereite neofaschistische Gruppe, der es gelingt aus dem Schatten des Nationalsozialismus hinaus zu treten, um so anschlussfähig für gesellschaftliche Debatten sein zu können. Die Identitären sind demnach nicht so friedlich, wie sie sich darstellen, zahlreiche Übergriffe sind dokumentiert. Die Heroisierung von Gewalt und Bürgerkriegsrhetorik geht einher mit einschlägigen Männlichkeitsbildern.

Die Identitären verwenden neue Begriffe, um rechtsextreme Inhalte kampagnenfähig zu machen. Man redet zum Beispiel von „Remigration“ statt Abschiebung und „dem großen Austausch“ statt „Überfremdung“.

Thorsten Mense, einer der Autoren, vertritt die Meinung, dass die Identitären für ein totalitäres Weltbild stehen, in dem jeder einzelne Mensch unentrinnbar „seiner“ Kultur und Herkunft untergeordnet wird und Pluralismus als Bedrohung gilt.

Besonders strukturschwache Regionen bieten einen guten Nährboden für rechtsextreme Ideologien. So ist die stärkste österreichische Gruppe der Identitären in der Steiermark vertreten, wo sie, neben einem sehr aktiven Zentrum in Graz, in verschiedenen ländlichen Regionen tätig ist.

Manche Artikel sind bereits einige Jahre alt und beschreiben Situationen, die sich seither verändert haben. Das zeigt wie stark sich diese Szene wandelt. Eine Konstante seit Beginn ist der Wiener Vollzeitaktivist Martin Sellner, der sich vor wenigen Jahren noch in militanten Kreisen neben Neonazi Gottfried Küssel bewegte. Sellner ist die zentrale Leitfigur der Bewegung und wurde im September 2020 zum Obmann der IB wiedergewählt.

Als Folgerung ist es wichtig die Identitären als das zu bezeichnen, was sie sind: gefährliche Rechtsextreme und keine neurechten Hipster.