Rezension: Thomas Schmidinger – Jihadismus: Ideologie, Prävention, Deradikalisierung

Erfreulicherweise gibt es seit einigen Jahren österreichische Autorinnen und Autoren, die zum Thema Islam publizieren. Von diesen ist Thomas Schmidinger derzeit wohl der mit der meisten Kompetenz und Erfahrung. Als Politikwissenschafter ist er an der Uni Wien und an der Fachhochschule Vorarlberg tätig und in zahlreichen Organisationen, Initiativen und Gremien aktiv. Schmidinger gilt in Österreich als der Experte für die Themen Politischer Islam, Jihadismus und Naher Osten.

Das 2015 erschienene Buch bietet eine ausführliche Einführung zur Entstehung und ideologischen Entwicklung des Jihadismus und gibt auch einige praktische Hinweise für den Umgang mit dem Phänomen Radikalisierung. Schmidinger gibt einen gut verständlichen Einblick in die komplexen Strömungen des Islam. Die detaillierten Abhandlungen über Entwicklungen einzelner Terrororganisationen wie Al-Qaida und ISIS und deren Abspaltungen sind teilweise schwierig zu lesen aber erforderlich für ein ganzheitliches Verständnis des Politischen Islamismus.

Schmidinger beschreibt den Islam als Weltreligion, die genauso pluralistisch, widersprüchlich und von unterschiedlichsten AkteurInnen mit unterschiedlichsten Interpretationen durchzogen ist, wie jede andere Weltreligion. Fundamentalistische Strömungen, die für Ideologisierung und Politisierung tauglich sind, gibt es laut dem Autor überall. Er weist darauf hin, dass der Politische Islam kein Alleinstellungsmerkmal hat. Gegenwärtige politische und gesellschaftliche Krisen in islamisch dominierten Staaten und Gesellschaften haben deshalb laut Schmidinger nichts mit dem Islam als Religion, sondern mit den Gesellschaften und politischen Systemen sowie mit den Ökonomien dieser Regionen zu tun.

Auch aus Österreich begannen sich seit Ende 2013 immer mehr junge Jihadisten nach Syrien abzusetzen. Als Beispiel für eine pro-jihadistische Jugendszene in Österreich nennt Schmidinger zwei Grazer Rapper. Diese wurden 2014 wegen Verhetzung und Gutheißung von terroristischen Handlungen verurteilt, dadurch nahmen sie eine Märtyrer-Rolle ein und erhielten in der Szene Glaubwürdigkeit und Anerkennung. In deren Texten kommen offen gewaltverherrlichende und antisemitische Zeilen vor. Die Welt der beiden Gangsta-Rapper ist vom klassisch antisemitischen Topos der freimaurerisch-zionistischen Weltverschwörung beherrscht. Diese Inhalte stehen für das jugendkulturelle Lebensgefühl am Beginn eines Radikalisierungsprozesses. Es macht aber auch Entfremdungserfahrungen deutlich, die wesentlich zu einer Radikalisierung beitragen können.

Schmidinger bezeichnet nennt den Mangel an positiven Vorbildern als Problem. Er beschreibt, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Männlichkeit bei den Burschen eine große Rolle spielt. Auf der Suche nach Ersatzvätern landen sie nicht selten bei jihadistischen Predigern, die genau diese Funktion erfüllen.

Exemplarisch werden zehn Fallgeschichten von jungen Menschen beschrieben, die aufzeigen, wie verschieden die Wege in den Jihadismus sind. Darunter findet sich auch ein Bericht einer Mutter, die ihren Sohn auf diese Weise verloren hat.

Was all diese Biografien gemeinsam haben sind Entfremdungserfahrungen.

Im „Kampf für den wahren Islam“ erhofften sich diese Jugendlichen Werte, die sie in ihrem bisherigen Umfeld nicht vorfanden: Zugehörigkeit, Sinn und Gemeinschaft.

Schmidinger fordert gesellschaftliche, ökonomische und politische Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen möglichst wenige Menschen solche Entfremdungen erfahren müssen. Er richtet sich damit an Politik und Gesellschaft: Wie können sich möglichst viele Menschen als Teil der Gesellschaft fühlen?

In der Präventionsarbeit mit gefährdeten Jugendlichen können Schule und Sozialarbeit – insbesondere Jugendarbeit – vieles bewirken. Der Autor meint, dass Prozesse, die zu einer Radikalisierung führen, auch wieder reversibel sein können. Dazu brauche es aber eine langfristige professionelle Begleitung.

Als Fazit dieses Buches zwei Zitate, die Schmidinger an Politik und EntscheidungsträgerInnen richtet:

„Wichtig dabei ist, dass es sich bei der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit um einen gesamtgesellschaftlichen Prozess handelt, in den MuslimInnen und NichtmuslimInnen eingebunden werden müssen. MuslimInnen sind damit nicht nur ein Teil des Problems, sondern auch ein Teil der Lösung. Sollen Deradikalisierung und Prävention erfolgreich sein, müssen sie in diese Arbeit eingebunden werden.“

„Das Problem ist nicht mit der Finanzierung von kleinen Alibi-Projekten zu lösen und die Folgekosten von Untätigkeit werden nicht nur finanziell, sondern auch gesellschaftlich und politisch wesentlich höher sein als jene für professionelle Präventions- und Defanatisierungsmaßnahmen.“