Rezension: Julia Ebner – Radikalisierungsmaschinen. Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren

Die gebürtige Wienerin Julia Ebner lebt seit einigen Jahren in London und forscht zum Thema Online-Extremismus am „Institute for Strategic Dialogue“, in Zusammenarbeit mit verschiedenen Regierungsorganisationen und Polizeiorganen. „Radikalisierungsmaschinen“ ist bereits ihr zweites Buch, nachdem das vor eineinhalb Jahren erschienene Werk „Wut. Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen“ aufzeigt, wie sich die Strategien von Islamismus und Rechtsradikalismus wechselseitig ergänzen und verstärken.

Im Rahmen der Recherche zum vorliegenden Buch hat sich die Autorin mit verschiedenen Identitäten undercover in insgesamt 12 radikale Gruppierungen eingeschleust, die sich quer durch das ideologische Extremismus-Spektrum ziehen. Sie erkennt, Radikalisierung folgt einem klaren Skript: Rekrutierung, Sozialisierung, Kommunikation, Vernetzung, Mobilisierung, Angriff.

Das Buch beschreibt anschaulich wie extremistische Bewegungen die neuesten Technologien nutzen, um ihre rückwärtsgewandten Vorstellungen durchzusetzen. Auch Islamisten nutzen seit vielen Jahren geschickt die Vorteile neuer Medien und sind zu sehr effektiven Cyberangriffen fähig. Diese neue Form von Terrorismus ist zu einer Art Online-Spiel geworden. Extremismus kombiniert konservative mit progressiven Elementen. Die Stoßrichtung vieler radikaler Bewegungen: Vorwärts in die Vergangenheit.

Ebner führt aus, wie der Online Raum die Mobilisierung von Aktivitäten revolutioniert hat. Bei nahezu allen Radikalisierungsfällen spielen Social Media Plattformen eine wichtige Rolle. Die Kontaktaufnahme erfolgt oft über Facebook und wird dann über verschlüsselte Chatrooms auf WhatsApp oder Telegram fortgeführt. Extremistische AkteurInnen sind heute stärker miteinander vernetzt als jemals zuvor.

Laut der Autorin fließt ein großer Teil der Ressourcen von ExtremistInnen in Medienarbeit, diese hätte eine sehr große Bedeutung. In den verschiedenen sozialen Netzwerken werden bewusst Falschinformationen, sogenannte Desinformationen, verbreitet. Dabei wird mit Algorithmen gearbeitet, die ähnliche Ideologien verlinken. Die vorgeschlagenen Inhalte steigern sich dabei und werden immer extremer. Youtube gilt als Hauptnährboden für Extremismus, eine unpolitische Recherche führt so schnell zu Suchergebnissen mit radikalen Inhalten.

Die Autorin ist der Meinung, dass Radikalisierung längst nicht mehr rein männlich ist. Die Bedeutung von Frauen hat sowohl im islamistischen wie auch im rechtsextremen Spektrum  zugenommen. Insgesamt agieren Frauen im IS moderner und emanzipierter als deren Pendant im Rechtsextremismus. Sie haben in den sozialen Medien Propaganda gepostet, Männer für den Dschihad rekrutiert und zum heiligen Krieg ermutigt oder deren Familien davon überzeugt, mit nach Syrien zu gehen. Meist agieren sie allerdings im Hintergrund und sind somit weniger sichtbar.

Ebner nennt Antifeminismus als einen wesentlichen Bestandteil des Rechtsextremismus. Dieser wird aber nicht nur von Männern befürwortet und propagiert. Weltweit gibt es Frauenrechtsaktivistinnen, die zurück wollen zu traditionellen Machtverhältnissen und zu überzeichneten Bildern von Mann und Frau. Antifeministische Frauengruppen richten sich gegen moderne Frauenbilder, wie zum Beispiel die Trad Wifes in den USA. Das erinnert an die These von Willibald Holzer, der bereits in den 1980ern Rechtsextremismus als Folge von radikalisiertem Konservatismus beschrieben hat.

Ebner weist deutlich darauf hin, dass die Demokratie in den westlichen Ländern aktuell in einer großen Krise steckt. Sie vertritt die These, dass wir alle eine unterbewusste Vorliebe für radikale Inhalte haben. Das führe dazu, dass Unternehmen und Politik kein echtes Interesse haben, Extremismus zu bekämpfen. Für sie liegt die Lösung nicht allein in stärkerer Überwachung der Plattformen oder der Entfernung von Inhalten. Denn genau diese Einschränkungen der Meinungsfreiheit hätte viele empfänglich gemacht für die Rhetorik von Extremisten und würde zu kurz greifen. Die Lösung liege vielmehr darin in Bildung und Medienkompetenz zu investieren: „Die große Herausforderung des heutigen Bildungssystems besteht darin, kritisch denkende, medial gebildete digitale BürgerInnen hervorzubringen, denen die Kontaktaufnahme- und Manipulationsstrategien von Extremisten nichts anhaben können.“

Die junge Forscherin und Autorin hat für dieses Buch zu Recht einen Preis für das Wissenschaftsbuch des Jahres 2020 bekommen. Ihre wichtigen Undercover-Recherchen erinnern an den deutschen Journalisten mit dem Decknamen „Thomas Kuban“, der viele Jahre konspirativ in der Neonazi Szene recherchiert hat und dabei auf zahlreichen Rechtsrock Konzerten heimlich mitgefilmt hat. Dessen Ergebnisse sind 2012 in einem Buch und einem Dokumentarfilm erschienen, die beide den Namen „Blut muss fließen“ tragen.

Am Ende bleibt die erschreckende Erkenntnis, dass diese wichtige Arbeit oft NGOs oder engagierten Privatpersonen überlassen wird. Diese müssen regelmäßig entscheidende Erkenntnisse liefern, weil der Staatschutz zuwenig Ressourcen hat und der politische Wille fehlt, Extremismus ernsthaft und langfristig zu bekämpfen.