Rezension: Thomas Schmidinger – Wenn der Herrgott das Wichtigste auf der Welt ist. Katholischer Traditionalismus und Extremismus in Österreich

Der österreichische Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger ist an der Uni Wien und an der Fachhochschule Vorarlberg tätig und ist auch in zahlreichen Organisationen, Initiativen und Gremien aktiv. Er gilt in Österreich als der Experte für die Themen Politischer Islam, Jihadismus und Naher Osten. In diesem aktuell erschienenen Buch beschreibt er seine Forschungserkenntnisse über verschiedene Einrichtungen katholischer Traditionalisten. Schmidinger hat in mehreren Ländern gründlich nachgeforscht, Messen und Veranstaltungen besucht und Interviews mit zahlreichen Priestern und Gläubigen geführt. 

Schmidinger sieht eine Beteiligung an diesen Glaubensgemeinschaften des Katholischen Traditionalismus als trotzige Ablehnung des gesellschaftlichen Mainstreams. Er spricht dabei von sturen Modernisierungsverweigernden mit ultrakonservativen Weltanschauungen. Laut dem Autor sind es rückwärtsgewandte Utopien mit einem demokratiefeindlichen Weltbild. Diese verschiedenen Gruppierungen vereinen demzufolge eine Ablehnung von Liberalismus und eine Nähe zum Rechtsextremismus und Antisemitismus.

Der Autor begründet die Teilnahme in diesen engen Parallelgesellschaften dadurch, dass strikte Regeln und einfache Erklärungen in Krisenzeiten auf manche Menschen attraktiv wirken würden.

In einer zunehmend unsicher werdenden Welt werden Worte und Handlungen eines Priesters von vielen Gläubigen unhinterfragt als absolut gesetzt. 

Im Buch wird ein Beispiel genannt, wie erzkonservative Einrichtungen versuchen, in die Gesellschaft zu wirken.  So hat vor einigen Jahren ein Verein unter dem Deckmantel Sexualpädagogik Workshops in Schulen durchgeführt. Dabei wurde gegen Abtreibung und Homosexualität propagiert, auch gegen Sex vor der Ehe. Erst 2019 kam es dann zu strikteren Überprüfungen durch das Bildungsministerium.

Hauptaugenmerk legt Schmidinger in seinem Buch auf die Priesterbruderschaft St. Pius X, die auch als Piusbrüder bezeichnet werden. Diese bedeutendste und einflussreichste Strömung der traditionalistischen Priesterbruderschaften stellt laut ihm die weltweit größte katholisch-fundamentalistische Organisation dar. Der Autor beschreibt bei ihnen sektenartige Strukturen und eine Kontrolle der Gläubigen. So würde es eine Einteilung in gute Innenwelt und böse Außenwelt geben und verschiedene Verschwörungstheorien essenziell zum Gedankengut gehören.  

Schmidinger schildert in seinen Ausführungen, dass die Jugendarbeit der Piusbruderschaft in Österreich gut ausgebaut sei. Er beschreibt ein System, das den eigenen Kindern kaum Möglichkeiten lässt, aus dieser geschlossenen Welt zu entfliehen. Dabei sollen Jugendliche bis zum Arbeitsleben soweit abgeschottet und gefestigt werden, dass sie nicht mehr abtrünnig werden. Der Autor beschreibt weiters die Anwendung einer stark ausgeprägten Angstpädagogik zur Erziehung der nächsten Generation. Gleichberechtigung von Frauen, Verhütung und Homosexualität würden strikt abgelehnt.

Laut dem Autor hat sich im Umfeld der Piusbruderschaft im Zusammenhang mit den Coronamaßnahmen eine starke Impfskepsis entwickelt. COVID wird als „Lektion Gottes“ interpretiert, die Covid-Impfung wird daher als moralisch bedenklich angesehen. Auffallend ist für Schmidinger auch ein regelmäßiger Anti-Abtreibungsaktivismus, Teilnehmer:innen bezeichnen sich als Lebensschützer:innen. Für ihn ist das Abtreibungsthema ein wichtiges Bindeglied zum Rechtsextremismus. Die Piusbruderschaft hat auch in Österreich mehrere Gemeindezentren, unter anderem in Graz.

Dieses Buch ist verstörend. Es sind religiöse Gruppierungen, die von der Öffentlichkeit als unauffällig oder nicht problematisch wahrgenommen werden. Schmidinger beschreibt Hintergründe, zeigt Verbindungen auf und erklärt schlüssig, was daran problematisch ist. Teilweise verzettelt sich der Autor in Details und wird zu speziell in Bezug auf historische Entwicklungen. An anderen Stellen sind einige unnötige Wiederholungen nicht nachvollziehbar und verwirrend. Insgesamt bietet dieses Werk wichtige Informationen über demokratiefeindliche und menschenverachtende Weltbilder innerhalb Strömungen der katholischen Kirche.