Rezension: Julia Ebner: Massenradikalisierung. Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt

Julia Ebner ist derzeit wohl die bekannteste und bedeutendste Expertin, die intensiv zum großen Themenfeld Radikalisierung  arbeitet. Sie hat sich auf Terrorismus und verschiedene Formen von Extremismus spezialisiert und berät seit mehreren Jahren unterschiedliche Gremien und Arbeitsgruppen in ganz Europa. Die österreichische Wissenschaftlerin und Buchautorin forscht seit Jahren in London, derzeit am Institute for Strategic Dialalogue. Ebner hat für ihre wichtigen Tätigkeiten zahlreiche Auszeichnungen erhalten, so unter anderem den Bruno-Kreisky-Preis.

Die Autorin beschreibt das Phänomen, dass bisher randständige Ideologien und antidemokratische Ansichten seit Jahren gefährlich weit in die gesellschaftliche Mitte gewandert sind und es einen deutlichen Trend zu einer Massenradikalisierung gibt.

Laut Ebner erfüllen diese Bewegungen Bedürfnisse und füllen ein Vakuum. Die Ursachen für die rasante Verbreitung menschen- und demokratiefeindlicher Ideologien liegen ihren Beobachtungen zufolge in einer globalen Vertrauenskrise. Gewinner dieser Krise sind demnach rechtspopulistische Parteien und staatliche Akteure wie Russland, die ein Interesse an der Erschütterung der liberalen Demokratie haben.

Das Buch beschreibt eine zu beobachtende Beschleunigung der Radikalisierung, die vor allem durch Social Media begünstigt wird. Es wird ausführlich erklärt, dass Algorithmen  so konzipiert sind, dass sie Empörung fördern und belohnen. Wer im Journalismus überleben will, muss demzufolge eine radikale Position einnehmen.

In ihren Ausführungen beschreibt Ebner, dass es manche der obskursten Ideen und extremistischen Verschwörungsmythen mittlerweile  in die Mitte der Gesellschaft geschafft haben. Als Beispiel nennt sie QAnon, eine aus den USA stammende Gruppierung mit rechtsextremem und antisemitischem Hintergrund, die durch die Coronaproteste auch in Österreich Fuß gefasst hat. QAnon gilt als Sammelbecken verschiedener Verschwörungsideologen, die sich in ihrem Frust und ihrer Wut zusammengetan haben.

Julia Ebner schildert weiter, dass diese Gruppierungen anfänglich kleine Subkulturen waren, die erst größeren politischen Einfluss gewonnen haben als sie starke internationale Netzwerke gebildet und alternative Mediensysteme aufgebaut haben. Die Anhänger:innen gehen überraschende Koalitionen ein und bilden große Schnittmengen mit radikalen Leugner:innen von Corona und Klimawandel, Verschwörungsideologen und Rechtsextremen. Als derzeit bedeutendste Quelle der Desinformation und Radikalisierung nennt Ebner Telegram.

Die Autorin beobachtet, dass Verschwörungsideologen immer wieder eine neue Krise benötigen würden. Nachdem die prophezeiten massenhaften Impftoten ausblieben, war den Ausführungen der Autorin nach der Angriffskrieg auf die Ukraine ein gefundenes Fressen für die Coronaleugner:innen, die schon zuvor russische Propagandamedien konsumierten. Ab dem Tag der russischen Invasion in die Ukraine konnte sie beobachten, wie Anti-Covid Aktivisten:innen ihren Fokus auf den Krieg verlagerten.

Das Buch wirft die Frage auf, wie damit umzugehen ist, wenn antidemokratische Bewegungen Begriffe wie Freiheit, Menschenrechte und Demokratie kapern und für sich vereinnahmen wollen, wie es etwa während der Corona-Pandemie zu beobachten war. Wie sollen wir vorgehen, gegen diejenigen, die behaupten, die Demokratie zu verteidigen, in Wirklichkeit aber durch unverantwortliches Verhalten die Freiheit anderer Menschen beschneiden? Ebenrs Antwort darauf ist, diese Begriffe wieder positiv zu besetzen.